Dienstag, 14. Juli 2015

Non-Place Portraits





„A  world  where people  are born in  the  clinic  and  die  in  hospital, where transit points and temporary abodes are proliferating under luxurious or inhuman conditions (hotel chains and squats, holiday clubs and refugee camps, shantytowns threatened  with  demolition or  doomed to festering longevity) ; where a dense network of means of transport which are also inhabited spaces is developing; where the habitué of supermarkets  slot machines and credit cards communicates wordlessly, through gestures, with an abstract, unmediated commerce; a world thus surrendered to solitary individuality, to the fleeting, the temporary and ephemeral, offers the anthropologist  (and  others)  a new object, whose unprecedented dimensions might usefully  be  measured before  we  start wondering to what sort of gaze it may be amenable.“ (Marc Augé. Non-Places)


Frankfurt Flughafen.
 
Das erste Mal tat er es aus purer Langeweile. Nach einer viel zu langen Schicht im gelblich beleuchteten Parkhaus des Flughafens hatte er sich ein überteuertes Bier gekauft. Während er noch überlegte, wie er die dauerhaft unfreundliche, auf ihren Plastiknägeln kauende Verkäuferin flachlegen könnte, fiel  seine Aufmerksamkeit auf einen weißen Flügel, der Mitten in der Wartehalle stand. Und er tat es. Setzte sich einfach an diesen weißen, kitschig lackierten Flügel mit Werbeschild für irgendeine Kreditkarte, „Die Welt ist Dein, wenn du’s dir leisten kannst“, und legte seine aufgequollenen Finger auf die Tasten. Nach einem halbherzigen Flohwalzer, bei dem er sich noch recht fehl am Platz vorkam, begann er jedoch Gefallen daran zu finden. Endlich konnte er spielen, worauf er Lust hatte, war nicht mehr an das Programm einer Bigband oder die Wünsche einer Hochzeitsgesellschaft gebunden, musste nicht unter den missbilligenden Blicken schmieriger Typen oder dem aufgesetzten Lächeln reicher Tussis spielen... Endlich konnte er seiner Laune und Imagination freien Lauf lassen. Denn die Menschen um ihn herum, und es waren viele, Unzählige, alle Einkommensklassen, Hautfarben, Konfektionsgrößen, den Menschen war es schlicht und einfach scheißegal. Und genau das war das Geniale daran, an einem Flughafen Klavier zu spielen. Wer auch immer diese Idee hatte, dachte er, muss brillant gewesen sein. Die Reisenden rannten in weißen Turnschuhen durch die Terminals, um ihren Anschlussflug zu erreichen, schleppten sperrige Koffer, blickten verwirrt durch die Gegend, weinten nach herzzerreißenden Abschieden oder hörten gerade aus übergroßen Kopfhörern ein Hörbuch auf ihren I-Phones. Das Klavier und er waren nur ein austauschbarer Teil des Inventars, waren Hintergrund-Klimbim. Junge Frauen, die ihre Flugangst vergessen wollten, indem sie sich auf dem Flughafenklo vergeblich in Autogenem Training versuchten, waren die einzigen, die kurz inne hielten, ihn hilfesuchend anlächelten und sogleich im nächsten Flieger nach New York oder Moskau oder Tokio verschwanden. Nur er kam jeden Tag. Und spielte.


Delhi. Rush Hour. 
- Prepare for pushing, guys – says our Indian friend and nods with great expectation. He just picked us up from the airport and is about to show us the New Delhi metro on a hot February noon. We are numb from the jet-lag and the heat prickles our German winter skin. As the lines form, under the strict surveillance of Sikh policemen with great beards and turbans, I realize that I am the only woman in the line. The Indian men, all of them smaller than me, return my gaze with great delight, eye-balls widening, white teeth shining in contrast to their dark skin and dirty faces.

- You know, guys, later we can see the Delhi Metro Museum. It is the only museum about Metro Railway in the entire South Asian region…
As I imagine how it must be to visit a museum just about public transport, the pushing begins. A metro has arrived and before the people from inside have had the slightest chance to get out, I feel bodies pushing against me. The fight for survival can begin. Anonymous hands touch my hips and the curve of my bottom as I struggle to stay near my friends, reach the metro and not lose my bag or even my entire arm. The Indian men laugh. It smells like sweat, shit and spices. Welcome to India, guys.


Ciudad de México.
The Indian mother is about to enter the metro in Coyoacán, the Coyotes’ place. This is Mexico: warm, colorful, literature and bookstores everywhere, Frida Kahlo… She imagines that she might have been a Mexican in one of her earlier lives. Everything seems so familiar, so right. But still, she cannot help but feel a little fear as she gets into the line to wait for the metro. Rush Hour. She has already spent too much time in crammed metros, has been pushed and bruised and touched in ways she does not like to remember.
The metro is jammed, hot and sticky. A young bare-chested man with starry eyes throws himself onto a carpet of broken glass. He sells ridiculous candy bars and his pain for ridiculously little money. As the Indian mother holds tight to her bulky backpack, trying not to stumble or fall, her daughter tells her to prepare: “We will get off at the next stop. Get ready to work your way to the exit.”
The mother takes a deep breath, one, two, three, and then she starts pushing. The pushing is in vain, too many people around her, too little strength she has. But suddenly, before panic can arise, she hears a woman by her side, a soft voice: “No se preocupe, señora, nosotras también tenemos que bajar en la siguiente parada.” A small Indian woman, American Indian, smiles at the mother. Maybe we really are part of one family.


U-Bahn.
Sie war eine normale Frau, durchschnittlich eben. Mitte Zwanzig, Straßenköterblond, Studentin – irgendwas mit Medien – und Single. Gelegenheitsraucherin und je nach Laune Flexitarierin.
Sexuell hatte sie keine ungewöhnlichen Fetische, das beruhigte sie und so genoss sie es, ohne jegliches schlechtes Gewissen, nachts lange aufzubleiben und 50 Shades of Grey zu lesen. Sie war eben ganz normal. Durchschnitt.
Doch sie hatte eine ganz besondere Vorliebe, die sie meinte, mit niemandem auf der Welt zu teilen. Eine Vorliebe für die U-Bahn. Um eine Stadt richtig kennenzulernen, zu spüren, von anderen Großstädten zu unterscheiden, war es notwendig, mit der U-Bahn zu fahren. „Vergiss die Monumente und Museen, geh in die Metro“, hatte sie mal zu ihrem Ex-Freund gesagt.
Und so tat sie es, egal wo sie war. 

In London flüsterte sie leise „Mind the gap“.

In New York atmete sie tief die schwüle Luft ein, während sie zwischen Pendlern stand und im Rhythmus der Schienen nach links und rechts schwankte. Dabei stellte sie sich vor, selber auf dem Weg zur Arbeit zu sein, von Brooklyn nach Manhattan, jeden Tag eine Strecke zurückzulegen, die zu Fuß nicht machbar war, die von Touristen gefeiert wurde, doch einfach der simple, harte, allmorgendliche Arbeitsweg dieser Menschen war.

In Mexiko-Stadt folgte sie mit dem Zeigefinger der Route, die sie gefahren war, auf einer der aushängenden bunten Linienpläne. Jede Metro-Station hat neben einem Namen ein knalliges piktographisches Symbol, damit auch Analphabeten ihren Weg finden, von Touristen ganz zu schweigen – Kunst zum Überleben, Kunst für den Alltag, Kunst in der Stadt.

In Medellín schwebte sie über den Schluchten der Slums und fühlte sich als Favela-Touristin ertappt, während sie sich vorstellte, wie unter ihr der Drogenkrieg tobte. Und wie der Blick von oben neue Wege möglich macht für die Bewohner, die ihr Leben lang nicht durch verfeindete Viertel fahren konnten. Nun also per Metrocable, Schwebebahn. Eine Stadt wie aus roten Legosteinen gebastelt, improvisiert und kurz davor, über die Grenzen der sie umrandenden Berge zu schwappen. Du bist so klein in der Stadt, die nie schläft. Aber von oben sieht alles ganz harmlos aus.

In Berlin fragte sie sich jedes Mal, wieso das Bild des Brandenburger Tors, das alle Fenster der U-Bahnen schmückte, einen optischen Fehler hatte. Die zwei Säulen sind schief! Knick in der Optik, falsche Perspektive… Fällt das denn den durch Drogen entgleisten Hipstern mit Jutebeutel gar nicht auf? Ob sich der Architekt wohl jedes Mal ärgert, wenn er eine U-Bahn betritt? Ob er deswegen wohl aus Berlin weggezogen ist, in eine Kleinstadt ganz ohne Bahn?



Ode to a Supermarket

Long, slender aisles,
Sleek and shiny floor,
Your red tasty apples
Just make me want more.


You've got what I need,
For my dreams and fears:
Bad hair-days, breakups,
College parties or tears.


Oh supermarket,
It's just so much fun
To meet a real redneck
Who's buying a gun.


You bring us together,
The rich and the poor.
We all are the insects
Your neon lights lure.


Stop'n'Shop, SevenEleven...
Too many stores to count.
I'm haunted by your presence,
You'll always be around.